Der Beweis ist erbracht – Bloatware zu deaktivieren oder zu entfernen bringt (fast) nichts

Dieser Artikel basiert auf einem Mythos und einer Diskussion, die ich letztens auf Google+ zum Thema Bloatware geführt habe. Angefangen hat alles mit einer Frage eines Sony Xperia Nutzers, warum sein gutes Stück so langsam ist. Jetzt gibt es ja doch einige hilfsbereite Menschen, die sich sofort mit den tollsten Tipps überschlagen haben. Eine abenteuerlicher, als die andere. Am häufigsten hat er den Tipp erhalten, sein Smartphone zu rooten und alles zu entfernen. Auf meine Frage, ob das überhaupt schon mal jemand nachweislich ausprobiert hat und den Sinn des ganzen Unterfangens belegen kann, kam erst einmal lange nichts. Also habe ich mich hingesetzt und es selber ausprobiert. Passenderweise mit einem jungfräulichen Sony Xperia T2 Ultra. Und es kam, was ich schon lange vermutet habe…

Es ist eigentlich immer dasselbe. Da hat jemand ein Problem. Egal welches. Postet es in eines der bekannten Foren, Google+ oder auch mal bei Facebook. Hilfe gibt es dann von vielen „Auskennern“ aus allen Richtungen mit den abenteuerlichsten Beschreibungen und Begründungen. Meistens bekommt man dann auch mal als Laie die Begriffe Bloatware, Deaktivieren, Deinstallieren, Root, Flashen, Custom ROM und noch ein paar andere mehr um die Ohren gehauen. Der Fragesteller hat davon meist noch nie was gehört und fragt entsprechend nach. Dann wird wild durch die Gegend verlinkt. Vornehmlich auf Seiten wie den xda-developers, wo sich zumeist nur echte Profils tummeln und erschwerend kommt noch hinzu, dass da alles in englisch beschrieben steht. Also fragt der, mittlerweile völlig verwirrte Nutzer, nochmals nach, ob dass überhaupt was bringt und dann sämtliche Standard-Phrasen auf den Tisch, die man millionenfach nachlesen kann:

  • alles an Bloatware deaktivieren was jede Menge RAM spart, weil die ganzen Apps dann nicht mehr laufen
  • Bloatware deinstallieren, damit schafft man jede Menge Speicherplatz und die Kiste rennt schneller
  • Rooten weil man dann alles restlos entfernen kann und überhaupt alles anstellen kann
  • eine Custom ROM flashen, weil es da sowas wie Bloatware gar nicht erst gibt

Diese Tipps kennt ihr sicher zur Genüge. Ich kenne das zur genüge, denn ich habe ja selber fast 10 Jahre zwei der größten deutschen Foren aufgebaut und betreut. Aber nirgendwo habe ich belastbare Tests gefunden, wo das mal jemand wirklich ausprobiert hat. Daher meine Fragestellung:

  1. bringt es was, Bloatware zu deaktivieren?
  2. bringt es was, Bloatware zu deinstallieren?
  3. bringt es was, sein Gerät zu rooten und dann gründlich aufzuräumen?

Bloatware deaktiveren - root (12)Das alles habe ich ausprobiert. Mit einem nagelneuen Sony Xperia T2 frisch aus der Verpackung. Ich habe das T2 soweit eingerichtet, dass man es nutzen kann. Also (falls vorhanden) Firmwareupdates installiert, alle vorinstallierten Apps aktualisiert und nur mein Google Konto eingerichtet. Weitere Apps habe ich nicht installiert und auch sonst keinerlei Änderungen an den Einstellungen vorgenommen. Nacheinander habe ich die genannten 3 Punkte durchgeackert und danach jedes mal geschaut, was sich am Speicherplatz und dem RAM getan hat. Weil viele auf Benchmarks stehen, habe ich jedes mal AnTuTu, Geekbench 3, Basemark OS II und Vellamo laufen lassen. Insgesamt dreimal die ganze Prozedur für jeden Punkt, um einen Mittelwert zu erhalten und natürlich jedes mal das Handy neu gestartet. Zwischen zwei Punkten habe ich dann auch noch das Handy auf die Werkseinstellungen zurückgesetzt, um gleiche Bedingungen zu schaffen.

Ausgangswerte:

  • 25 vorinstallierte Apps seitens Sony
  • 4,68 GB Speicher frei
  • 378 MB RAM frei
  • AnTuTu: 19805 Punkte
  • Geekbench 3: 401 / 1319 Punkte
  • Basemark OS II: 511 / 997 / 309 / 354 / 626 Punkte
  • Vellamo: 760 / 1124 / 1919 Punkte

1.) Bloatware deaktivieren:

Zuerst habe ich alle vorab installierten Apps von Sony über den Appmanager in den Einstellungen (soweit möglich) deaktiviert. Das heißt, dass die Apps beendet werden und auch bei einem Neustart nicht mehr ausgeführt werden. Es ergaben sich folgende Werte:

  • 6 vorinstallierte Apps seitens Sony
  • 4,68 GB Speicher frei
  • 372 MB RAM frei
  • AnTuTu: 20133 Punkte
  • Geekbench 3: 399 / 1332 Punkte
  • Basemark OS II: 511 / 992 / 315 / 351 / 620 Punkte
  • Vellamo: 758 / 1097 / 1918 Punkte

Wie man ganz gut sehen kann, bringt diese Maßnahme so gut wie nichts, außer dass die Apps halt nirgends mehr auftauchen.

2.) Bloatware deinstallieren:Bloatware deaktiveren - root (22)

Als nächstes habe ich alles versucht zu deinstallieren, was irgendwie möglich war. Bei Sony sind das aber nicht viele. Gerade einmal 12. Allerdings klappt das nicht über das Menü im Appdrawer, sondern nur über die Einstellungen und dann unter den Apps. Also jede einzelne App auswählen und auf „Deinstallieren“.

Damit ergaben sich diese Werte:

  • 13 vorinstallierte Apps seitens Sony
  • 4,68 GB Speicher frei
  • 327 MB RAM frei
  • AnTuTu: 20141 Punkte
  • Geekbench 3: 401/ 1343 Punkte
  • Basemark OS II: 513/ 991 / 317/ 349/ 629 Punkte
  • Vellamo: 762 / 1100 / 1924 Punkte

Überraschenderweise gewinnt man durch die Deinstallation so gut wie keinen Speicher. Diese paar MB kann man zwar mitnehmen, aber In Punkto RAM und Benchmarks hat auch diese Maßnahme absolut keine Wirkung.

2.) Root durchführen und anschließend Bloatware deinstallieren:

Die Vorgehensweise, zu der am häufigsten von den „Fachleuten“ geraten wird. Jetzt bin ich sicher kein Anfänger was die Durchführung angeht, aber ich bin beinahe verzweifelt. Zuerst einmal muss man für sein Modell und seine Firmware die passende Software und Anleitung finden. Da fängt das Problem schon mal an. Fündig geworden bin ich dann bei den xda-developers. Feinstes Englisch, irre viele Fachbegriffe und noch mehr Schritte zur Durchführung. Diese häufig genannten „Ein-Klick-Lösungen“ gibt es nur für sehr wenige Geräte auf dem Markt. Wer Pech hat, findet gar keine für sich. Also habe ich das T2 Ultra nach Stunden irgendwie gerootet bekommen und dann wieder alles irgendwie entfernt, was man entfernen konnte.

Bloatware deaktiveren - root (32)Das Resultat:

  • 0 vorinstallierte Apps seitens Sony
  • 4,69 GB Speicher frei
  • 369 MB RAM frei
  • AnTuTu: 20170 Punkte
  • Geekbench 3: 423 / 1363 Punkte
  • Basemark OS II: 533 / 999 / 327 / 360 / 669 Punkte
  • Vellamo: 770 / 1112 / 1936 Punkte

Vergleicht man diese Daten mit der Ausgangslage ergibt sich ein Plus von 0,1 GB Speicherplatz, 0 MB mehr RAM  (eher weniger), 300 Punkte mehr bei AnTuTu (weniger als 7% mehr), kaum Punkte mehr bei Geekbench 3, vernachlässigbar mehr bei Basemark OS II und teilweise weniger Punkte bei Vellamo. Und das für die aufgebrachte Zeit und Nerven? Zumal bis heute nicht genau geklärt ist, ob so ein Root (und damit verbundener Unlock des Bootloaders) nicht doch die Garantie gleich mit wegflasht.

Fazit:

Es ist in meinen Augen bewiesen, dass dieser ganz Mumpitz rein gar nichts bringt. RAM oder Speicherplatz spart man nicht und schneller läuft ein Smartphone damit auch nicht. Hier versetzt der sprichwörtliche Glaube die Berge. Mehr aber auch nicht. Wer mit dem Problem zu wenig RAM oder überfüllten internen Speicher zu kämpfen hat, wird beim Thema rooten mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit ein Gerät der Einsteiger oder der unteren Mittelklasse haben. Dafür gibt es dann meist keine große Anhängerschaft. Schon gar keine, die für solche Modelle einen Root erstellen oder irgendwelche Custom ROMs. Sowas gibt es eigentlich nur für Topmodelle und die kämpfen ganz sicher nicht mit solchen Problemen. Da geht es um andere Themen.

Vorschlag:

Deaktiviert einfach ungewollte oder ungenutze Apps. Das geht nervenschonend und garantieschonend über die Einstellungen und hinterlässt eine aufgeräumte Oberfläche.

Ich lasse mich gerne belehren, wenn sich jemand hinsetzt und nachvollziehbar das Gegenteil beweist. Bis dahin werde ich weiterhin meine Meinung vertreten, dass solche Aktionen völliger Schwachsinn sind und als Tipp gerade für Laien absolut unbrauchbar sind.

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Peter W.

19 Kommentare zu „Der Beweis ist erbracht – Bloatware zu deaktivieren oder zu entfernen bringt (fast) nichts“

  1. Klasse! Vielen Dank für deine Mühen und deinem ausführlichen Bericht. TOP!
    Jetzt verstehe ich auch, dass es keinen Sinn macht sich über diese Themen sich den Kopf zu zerbrechen. 😉 🙂

  2. Interessanter Test. Danke dafür.

    Aber jetzt daraus ein allgemengültiges Fazit zu ziehen halte ich für falsch. Dieser Test sollte zumindest mit Geräten anderer Hersteller wiederholt werden. Besonders Samsung wird ja immer stark für ihre zusätzlichen Apps kritisiert.

    1. Das war mal bei Samsung so. Mittlerweile haben die machtigmaufgeräumt. Hatte ja erst vor kurzem das Note 4 im Dauertest. Das sind nur noch eine handvoll Apps zusätzlich installiert. Derzeit ist Sony der absolute Bloatware König mit 26 vorinstallierten Apps. Daher habe ich bewusst ein Sony genommen. Daher wette ich, das die Unterschiede bei anderen Modellen noch geringer ausfallen würden. Ich werde demnächst das LG G4, HTC One M9 und das Samsung Galaxy S6 testen

      1. Stimmt, auf meinem Note Edge war/ist auch sehr wenig vorinstalliert. Aber dennoch sind IMMER mindestens 2,1 GB RAM belegt. Und das Teil ist sowas von träge das ich am überlegen bin das Teil wieder zu verhökern. Mein S4 war trotz Bloatware deutlich schneller.

  3. Ich kann nur aus EIGENEN Erfahrungen Berichten, dass bei Samsung (Galaxy Note 2014 10.1) das „freezen“ der Samsung-Apps mittels Titanium Backup eine Menge gebracht hat. (Und das geht leider nur mit root) Fast genauso effektiv war allerdings, schlicht einen alternativen Launcher zu verwenden. (Nova). Der von Samsung ist da alles andere als performant.

    1. Und wo liegt der Unterschied zwischen Freezen und deaktivieren? Wie ich meine gar keiner und der Einsatz von Nova blendet die Apps nur aus, stoppt die aber von sich aus nicht.

      1. Nein. Das ist das selbe. Der Launcher ändert auch tatsächlich nichts an den Apps. Ich wollte damit nur sagen, dass der Launcher (zumindest bei Samsung) bereits gefühlte 50% der Leistung schluckt. Ich vermute schlicht und ergreifend, dass der Erfolg beim Deaktivieren von Apps extrem Anbieterabhängig ist. Während bei Sony das offensichtlich nicht viel bringt, ist es bei Samsung deutlich zu erkennen. Aus eigenen Erfahrungen weiß ich, dass der Effekt weit entfernt von einer nur „gefühlten“ Verbesserung ist.
        Es kommt ja nicht in erster Linie auf die Anzahl der Apps an, sondern wie gut/schlecht sie sind.
        Mein 2014 Note 10.1 müsste eigentlich mehr als genug Power haben, aber in der „Samsung-Konfiguration“ war das alles andere als flüssig zu bedienen.

    1. Apps, die von den Herstellern ab Werk installiert werden, aber nicht von Google kommen. Solche Sachen wie Office Apps, Virenscanner, Navis, eigene Appstores etc. Also ZeugZeug, was man selten bis gar nicht braucht.

    1. Die einzige App, die bekanntlich und bewiesenermaßen extrem am Akku saugt, ist Facebook, der Facebook Seitenmanager und der Facebook Messenger. Zum Glück kann man die immer deinstallieren.

      Gruß
      Peter

  4. Mich hätte der Test gerade bei einem ALTEN Gerät interessiert. Mein Problem ist, dass ich mit dem HTC One M8 ein wirklich gutes Smartphone habe, es aber von Monat zu Monat immer langsamer wird. Mich würde wirklich interessieren, ob in meinem Fall ein Root weiterhelfen kann. Eine komplette Neuinstallation habe ich ebenfalls schon probiert vor ca. 1,5 Jahren, der Erfolg war zumindest nicht nachhaltig…

    1. Problem ist einfach, dass die Apps immer größer werden. Facebook ist mittlerweile ein riesiges Monster und belegt ohne Ende Speicher. Da hilft nichts, außer Konsequent aufräumen und nicht genutzte Apps zu deinstallieren. Und ich empfehle alle 6 Monate die Kiste neu aufzusetzen. Geht am Ende schneller, als sich damit herum zu ärgern.

      Gruß

  5. Hallo Peter,

    das Ergebnis, zu dem Du (unter so vielen Mühen) gelangt bist, nehme ich Dir sofort ab. Könnte es aber auch andere Gründe geben, um ‚bloatware‘ zu entfernen? Ich habe mir vor einem Jahr ein Lifetab E6912 gekauft, weil ich unterwegs, wo manchmal auch kein Netz ist, einfache Funktionen nutzen wollte (schreiben, lesen, rechnen, aufnehmen). Jetzt kann ich aber nicht mal eine txt-Datei öffnen, ohne dass ich die Meldung bekomme: geht nicht, weil Sie offline sind.

    Ich habe dann bei Medion angerufen und gefragt, ob Sie mir das Gerät rooten könnten – und gerne würde ich eine solche Dienstleistung bezahlen. Die Antwort war: wir können (=wollen) das Gerät nicht ‚personalisieren‘.

    Und das war für mich dann die Erleuchtung: wenn ich ein solches Gerät kaufe und nutze, dann verliere ich potentiell einen Teil meiner Privatsphäre und entsprechend meines Personseins. Denn was ich dann mit dem Gerät arbeite und wo ich mich aufhalte und was ich neben dem Gerät mache, ist für einen gewissen Kreis von Menschen und Maschinen dann einsehbar. Und ich werde, ohne dass ich mich auf einfache Weise wehren könnte, mit Werbung und Angeboten eingedeckt, die mich gar nicht interessieren und eigentlich stören.

    Es ist eine echte Erfahrung, die zu weiterem Nachdenken einlädt.

    Grüsse, Christian

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